ANGELIQUE - voyage par un demi siècle
Die Reise durch die Zeit beginnt in den 1950er Jahren,
und endet im Heute. Auf ihrem Weg durchlebt Angelique
viele markante Ereignisse an nur einem Tag, die jeweils
bezeichnen für das jeweilige Jahrzehnt sind.50er "How to marry a millionaire?"
Eine junge Frau, kaum älter als zwanzig Jahre, steigt aus dem Bus. Sie sieht sich kurz um, zupft an ihrem
Petticoat und nimmt die übergroße Sonnenbrille ab. Sie beobachtet den Trubel an der Kasse und sucht nach
vertrauten Gesichtern. Niemand. Gott sei Dank. Haben doch ihre Eltern verboten, sich "Denn sie wissen nicht
was sie tun" im Kino anzusehen.Doch warum eigentlich? Sie ist immerhin schon erwachsen, arbeitet nun auch in einer Fabrik, schließlich
braucht die Wirtschaft sie. Aber auch das versteht ihre Mutter nicht. Hektisch an einem Fläschchen
"Frauengold" nippend hatte sie ihr erklärt, dass Frauen doch heiraten und für die
Familie sorgen sollten, der Herr Wuermeling müsse es schließlich wissen.Und trotzdem lehnte die alle Männer die ihre Tochter mit nach Hause brachte ab. "Halbstarke" nannte sie
sie. Jungen mit engen Hosen und Lederjacken und nur Flausen im Kopf. Wie sollte ein solcher Abklatsch
eines James Dean denn je Verantwortung für eine Familie übernehmen können?60er "Macht kaputt, was euch kaputt macht"
"Hallo?" Schnell dreht Angelique die Beat-Musik leiser während sie den Telefonhörer abhebt. Noch
unerhörter als Rock'n'roll wie ihre Mutter zu sagen pflegt.
"Ja, Hallo, ich bin's."
Ein Aufatmen. Sehnlichst hatte sie diesen Anruf bereits erwartet. Es ist Ivana, Tochter eines Gastarbeiters,
die mit Angelique gemeinsam im Büro arbeitet. Hat Ivana doch heute den neuen Film "Helga" im Kino
gesehen.
Momentan beherrscht, wohin man auch geht, nur ein Thema die Köpfe. Sex.
Anscheinend soll es nun ein Wundermittel geben, bei dem man nicht mehr schwanger werden kann. Doch
wie kannn man es bekommen, ohne reich oder verheiratet zu sein?
Und obwohl in ihrer Wohngemeinschaft oft über Befreiung von Autorität und Zwängen gesprochen wird,
obwohl ein Che Guervara-Poster die Wand ziert, und obwohl Sex in aller Munde ist, - Angelique wird rot und
dämpft ihre Stimme.70er "Mein Bauch gehört mir!"
"Pass auf!" Schnell zieht Angelique ihre Freundin zur Seite. Fast wäre sie umgerannt worden in diesem
Gedränge. Hunderte von Bannern wurden hochgehalten, alle mit derselben Botschaft: "Ersatzlose
Streichung des Paragraphen 218!"
Erst letzten Monat war Ivana gestorben, nein, ermordet worden. Nach einer heimlichen, teuren und
erniedrigenden Abtreibung war sie elend verblutet. Und nicht nur deswegen ist sie heute hier. Eine Frau
sollte selbst bestimmen dürfen, ob sie ihr Kind behalten wolle oder nicht. Sich nicht verstecken oder
rechtfertigen müssen.
Und als sie schon heiser sind von ihrem Rufen, als die bunte Menschenmasse vor ihren Augen schon zu
Rauchwolken verschwimmt, dann endlich sehen sie ihn.
Jens hatte versprochen die beiden Freundinnen abzuholen, nun lehnt er etwas abseits des Trubels an einer
Laterne und raucht eine Zigarette. Mit seinen Plateauschuhen und den langen Haaren ist er von hinten fast
nicht von Frauen zu unterscheide. Gemeinsam gehen sie in die nächstgelegene Eisdiele um den
Verlauf des Tages noch einmal Revue passieren zu lassen, währen im Hintergrund leise der neueste
ABBA-Hit spielt.80er "Mr. Gorbachev, tear down this wall!" (Ronald Reagan)
Ein Pfeifen schreckt Angelique aus ihren Gedanken. Das kleine Vögelchen das die neue Teekanne ziert und
sie auf das Kochen des Wassers aufmerksam macht, hört abrupt auf zu kreischen als sie es vom Herd
nimmt. Sie hatte die Alessie-Teekanne zu ihrem Geburtstag bekommen und strich nun noch einmal liebevoll
über den Henkel.
Dies ist wohl der einzig moderne Gegenstand den sie in ihrer Wohnung beherbergt, ausgenommen natürlich
dem Zimmer ihrer Tochter.
Diese packt ihre Möbel seit neuestem in Aluminiumfolie ein und beleuchtet diesen Wohnungsaltar dann
dezent mit roten und blauen Spotlampen. Nicht genug der Dekoration, nein, sie beklebt sämtliche freien
Wandstellen mit Postern, Abzeichen, Kleidern, Fahnen und anderem Kram.
Lächelnd nimmt sie den Zauberwürfel vom Wohnzimmertisch und dreht etwas daran herum. Ein weiteres
Mal an diesem Tag wird sie aus ihren Gedanken zurück in die Realität geholt, als ihr Ehemann die Türe hinter sich zuschlagend ins Wohnzimmer eilt. Er reißt die Fernbedienung an sich und schlatet schnell allle Programme durch: Alf, Knight Rider, Miami Vice, nein hier: Nachrichten. Endlich nimmt er von Angelique
Notiz: "Hast du schon gehört? In Tschernobyl ist ein Kernreaktor explodiert!"90er "Die Männer schlagen zurück!"
Heute ist nicht Angeliques Tag. Ihr scheint alles anstrengend, sie ist müde, sie möchte, dass die Welt
sich nur ein bisschen langsamer dreht.
Schniefend wischt sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Was hat sie nur falsch gemacht?
Nicht nur, dass ihre liebe kleine Tochter zu einem gepiercten Girlie mutiert ist und die Techno-Töne aus
deren Zimmer sie schier verrückt machen, nein, zu alllem Überfluss muss sie nun dieses Buch entdecken.
"Der Campus".
Ob ihr Mann wohl der gleichen Meinung des Autors ist? Ist sexuelle Belästigung gleich zu stellen mit Flirt?
Sind selbstbewusste Frauen verklemmt und prüde? Ist es etwas Schlimmes, wenn ein Mann Tränen zeigt,
oder im Haushalt hilft? Hat sie sich so in ihm getäuscht?
Nein, das kannn einfach nicht sein.
Bis jetzt hatte ihr Mann sie doch immer tatkräftig unterstützt. Sogar Sitzungen ihres Frauenvereins störten
ihn nicht wenn sie bei ihnen zu Hause stattfanden.2000 "Ich denke, wir stimmen alle darin überein, dass die Vergangenheit vorüber ist."
(George W. Bush)Leise schließt sie die Türe um ihren kleinen Enkel nicht zu wecken. Mittagsschlaf. In einer Zeit, die eigentlich
niemals schläft. Sie dachte immer, sie würde nie über "die guten alten Zeiten" sprechen, aber war früher
nicht wirklich alles anders?Villeicht waren die Menschen auch damals schon schlecht. Vielleicht war alles vorhersehbar. Aber in
diesen Ausmaßen?Oder ist es nur, weil wir heute durch die neuen Medien davon erfahren?
Der über alles erhabene Mensch. Der intelligente, fortschrittliche, alles einnehmende Mensch. Glauben wir
das wirklich?
Ist unsere Gesellschaft tolerant, naturbezogen, sozial? Eine Gemeinschaft?
Intelligenz? Individualismus? Moral? Freiheit?
Leere Schlagworte.2000 "Ich denke, wir stimmen alle darin überein, dass die Vergangenheit vorüber ist."
(George W. Bush)Der Mensch. Weiß alles.
Oder glaubt es zu wissen.
Was war vor uns, vor dem Anfang des Lebens, besser gesagt: Wann? Und wenn, was war davor? Nichts?
Weißt Du wie viel Sternlein stehen?
Der Mensch richtet die Erde zugrunde, sie wehrt sich. Und als wäre das nicht schon genug, zerstören sich
die Menschen auch noch gegenseitig. Habgier. Macht. Geld. Gewalt. Rassismus.
Das sollten eigentlich die Schlagworte sein.
Was ist nur passiert?
Aber zum Glück gibt es auch noch andere Planeten.
Zum Glück können wir die geschändete Erde verlassen und neu anfangen.
Wir sind immerhin Menschen.
Wir sind allwissend.
Uns gehört alles.
"Mein lieber Enkel. Ich wünsche Dir, nein, ich hoffe inständig, dass Du nicht mehr alles erleben musst was
auf uns zukommt.